Dienstag, 28. Mai 2013

Der Goldgrund - eine Darstellung des Evangelisten Matthäus und einige Gedanken dazu

Der Evangelist Matthäus - eine Seite aus den "Dori-Folianten", Band 2

Ein Referat, welches Hanna in Zusammenhang mit ihrem Kunstgeschichts-Studium zur Zeit erarbeitet, hat mich inspiriert, mich mit alten Bibel-Abschreibungen zu beschäftigen. In Hannas Referat geht es um die sogenannte "Liuthar-Gruppe", das sind Evangeliare aus dem Benediktiner-Kloster Reichenau um 1000, wo übrigens auch der Heilige Wolfgang Schüler war. Die Klosterschule Reichenau war damals eines der berühmtesten Bildungszentren des Abendlandes. Zahlreiche Folianten entstanden hier, Bibeln, von Mönchen abgeschrieben und wertvollst illustriert. Die sogenannte Liuthar-Gruppe, das sind zahlreiche bebilderte Schriften, gehören heute zum Weltkulturerbe. Sie befinden sich heute in Aachen.

Hier seht Ihr den Evangelisten Matthäus aus dem Liuthar-Evangeliar:

Der Evangelist Matthäus - eine Seite aus dem Liuthar- Evangeliar

Die Säulen, der Rundbogen und die dreieckige Attika sind antike Elemente, von denen sich die Buchmaler der Liuthar-Gruppe inspirieren ließen. Sie blickten dabei nach Byzanz, wo herrliche Ikonen gemalt wurden, die sich in ihren Stil auch gern an der griechisch-römischen Antike orientierten, beispielsweise was den Faltenwurf und die stoische Harmonie der Figuren anbetrifft. Die Falten und Gesichter wurden sehr aufs Einfache reduziert, um dem Christlichen Geist der Bescheidenheit und der Konzentration auf Gott (Welt ist zweitrangig) zu entsprechen. Der Goldene Hintergrund der Ikonen ist auch ein wesentliches Merkmal der Buchmalerei der Liuthar-Gruppe. Matthäus ist also auf einen Goldgrund gemalt. Die leichte Unsymmertrie der Figur wird ausgeglichen durch einen über dem Nimbus schwebenden Engel, der eine Schriftrolle über den Heiligenschein ausrollt, das ist  die Eingebung für den Text, den der Evangelist gerade schreibt.

In der Dorizeichnung seht ihr hinter Matthäus Christus. Ganz einfach deswegen, weil ich mit einem vermeintlich zu kleinen Gesicht angefangen hatte und dadurch darauf kam, Christus dem Matthäus eng zur Seite zu stellen.

Christus eng neben dem Evangelisten Matthäus, Detail

 Natürlich dürfen bei Doribildern die Tiere nicht fehlen!! Ein treuer Hund - es könnte Rexi sein - liegt friedlich zu Füßen des Heiligen, ein Schaf nähert sich sanft von hinten, ein Vogel sitzt am Schreibtisch und auch eine Weinbergschnecke besucht die Szene.

Hund Rexi, Schaf Renate und Weinbergschnecke besuchen die heilige Szene.

Thema Raumtiefe:
 Eigentlich ging es den Buchmalern damals überhaupt nicht um Raumtiefe, obwohl sie diese aus der Antike schon zumindest ansatzweise kannten. Auch mich interessiert allgemein Perspektive wenig - wie Ihr sicher gemerkt habt :) Eine minimale Tiefenwirkung ist allerdings bei beiden Bildern da: Beim Liuthar-Mattäus sind beide Schreib-Pulte etwas HINTER die Säulen gesetzt, und bei der Dorizeichnung entsteht durch das Schaf und den Tisch eine gewisse Raumwirkung.

Und was bedeutet eigentlich der Goldgrund? Also Hanna könnte Euch das auch schön erklären! Ich sag's in paar Sätzen:

 Das Gold ist das Zeit-lose, die Ewigkeit, die Mehr-als-Dreidimension. Kein Raum, sondern mehr als Raum. Das heißt, die Darstellung ist sozusagen auf dem Göttlichen Gold aufgelegt. Der Goldgrund ist der Existenzgrund der Szene. Es ist der heilige, unveränderliche, unzerstörbare, ruhige, unendlich wertvolle Grund, auf dem das Bild draufliegt (in meiner Zeichnung durch leuchtende Striche angedeutet).
Für Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch, Maler und Hauptvertreter der Russischen Avantgarde, war bei seinem weltbewegenden Bild des Schwarzen Quadrat auf weißem Grund der weiße Grund das Gold der Ikonen, und das schwarze Quadrat die Darstellung der "allumfassenden Realität" - das nur ganz nebenbei - hallo, Hanna :)

Betrachten wir unser Leben und versuchen wir mal zu spüren, wie unsere Lebens-Szenen dargestellt sind. Fühlen wir nach und meditieren wir ein wenig darüber. Leuchtet er auf, der Schimmer des Goldgrundes, auf dem unsere persönlichen Geschichten, die großen und die kleinen aufgezeichnet sind?







8 Kommentare:

  1. Deine Schrift ist da ganz toll dazu!

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    1. Stimmt, ich finde das ehrlich gesagt auch, liebe Gelia! DANKE!

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  2. A wonderful way to occupy your time Dori, I love to see the lowly snail taking part in this scene. All are welcome.

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    1. Thank you, Ramona! Yes, a very wonderful world of inspirations, the History of Art combined with own ideas, thoughts, feelings, pictures. To feel connected with those wonderful artmakers, the moncs of Reichenau.

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  3. Liebe Dori!!!! Ausgezeichnet :) Du bist nicht nur eine Künstlerin, sondern auch eine Kunsthistorikerin!!!
    Bei der Dori Zeichnung sieht man auch schöne ruhige Gesichter, die auf Zeitlosigkeit und Ewigkeit verweisen.
    Erkennbar sind auch bei der Dorizeichnung pflanzliche Verzierungen, die sich vom Wikinger inspirieren ließen. Oben sind zudem zwei wunderschöne Herzen zu erkennen, die beim Dorismus gar nicht fehlen dürfen :) :)

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    1. Welch Freude, Dich hier und heute zu lesen! Tolle Kunstbetrachtung zum Thema "Dorismus" :) !!! Das wird noch eine Doktorarbeit, unglaublich, was du siehst, Frau Kunsthistorikerin! DANKE, HANNA!!

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  4. liebste dori,

    hunderte von kilometern von dir entfernt, genieße ich an diesem hellen dienstagmittag im gastlichen haus meiner cousine mal wieder eines deiner grandiosen kunstwerke!

    wunderschön der evangelist, die sich ganz von alleine eingestellt habenden weiteren details, jedes für sich gesehen ein unverzichtbares zentrum der zeichnung.
    aber so stellst du deine tiere, einen simplen schreib-tisch in den blick des betrachters, jedes liebevoll in szene gesetzt.

    den kunsthistorischen ausführungen zum liuthar kann ich nur begrenzt folgen, nehme jedoch wahr, dass es ein hochkompliziertes gebiet sein muss. mir war nicht bewusst, mit welchen inhalten sich kunsthistoriker beschäftigen, mit themen, zu denen o.n. nie in seinem leben zugang findet, diesen sicher auch weder zum glücklichsein, geschweige denn überleben benötigt.

    liebste dori, im vorletzten absatz ist dir nach mitternacht irgendein satzbaubandwurm auf die tastatur gekrochen, auf alle fälle steige ich nicht durch, was du sagen willst.

    ich mache für heute schluss, wünsche, dass auch ihr ein wenig mehr wärme und sonne als die letzten tage habt und umarme dich aus der ferne ganz, ganz herzlich.

    deine carola

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    1. Welch wunderbare Überraschung, Dich aus der Ferne auf diesem virtuellen Weg zu treffen!!!! Das freut mich!! Deine Stellungnahme finde ich wie immer wertvollst und bereichernd! Habe nun gleich Dank Deines Hinweises den Schachtelsatz mit Malewitsch und dem Quadrat ausgebessert, hatte mich immens vertippt, danke! Was bin ich mittlerweile OHNE Deine konstruktiven Korrekturen? Was braucht O.N. zum Glücklichsein? Also ich kann mich über Kunst-Betrachtungen und -Historie erfreuen wie an einem Musikstück, das kann belebend wirken. Aber ich bin halt nicht O.N. sondern Do.N. :) :) :) Ich wünsche Dir eine richtig toll schöne Zeit bei Deiner Cousine. herzliche Grüße auch an sie!

      Deine Dori, sitzend meditativ unterm verschneiten Arber.

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